Wie komme ich zu mehr Ruhe?
Wenn ich mit Klienten arbeite, ist ihr Wunsch sehr oft: Ruhe. Ich möchte mehr Ruhe für meine Hobbys, mehr Ruhe bei der Arbeit, mehr Ruhe zum Lesen, Kochen, Handwerken etc, mehr Ruhe, um neue Ideen umzusetzen.
„Einfache“ erste Schritte sind Zeitmanagement, Optimierung, Grenzen setzen gegenüber Dritten etc.
Aber was passiert, wenn dann die Zeit da ist? Sehr oft gibt es eine große Enttäuschung bei den Klienten.
„Ich weiß gar nicht, was los ist, aber ich fühle mich total unter Druck. Ich versuche, so viel wie möglich in die Zeit hineinzupressen, oder weiß gar nicht, womit ich anfangen soll.“
Ähnlich ist die Situation, wenn ein drohender Burnout am Arbeitsplatz erfolgreich verhindert werden konnte. Im Job hat die Klientin umstrukturiert, evtl. sogar den Job gewechselt, entschleunigt, sich neue Gewohnheiten angeeignet und alles läuft erstmal. Pu.
Dann kommt nach ein paar Monaten die große „Überraschung“:
„Ich bringe in meine Freizeit die Hektik, die ich vorher im Job hatte. Ich fange an, meine Familie anzutreiben, werde nervös, wenn andere beschäftigt sind und ich mich aufs Sofa setzen und die Füße hochlegen könnte. Es geht nicht. Ich bekomme Herzrasen.“
Wir legen zu häufig den Fokus ausschließlich auf den Job. Die Arbeitswelt ist Schuld, da kommt der Druck her, die Hektik, der Stress. Aber das ist nur ein Auslöser.
Wir selbst haben Treiber in uns, die uns mehr oder weniger anfällig dafür machen. Und diese Treiber haben wir auch in unserer Freizeit.
Deshalb bringt es oft nicht dauerhaft Verbesserung, einfach die Arbeitszeit zu reduzieren oder den Job zu wechseln oder aufzugeben.
Wir gehen in einer ungesunden Weise mit uns, unserer Zeit und unseren Wünschen um. Hier gilt es, anzusetzen und uns zu fragen, warum wir das machen.
Sei es, dass wir ständig dafür sorgen, dass es anderen gut geht - es wird immer jemanden geben, der unsere Unterstützung gebrauchen kann, so dass wir nie Zeit für uns und unsere Projekte haben werden.
Oder es müssen erst alle Pflichtaufgaben erledigt sein - erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Doch es gibt immer eine Pflichtaufgabe: Putzen, Abwasch, Einkauf, Steuererklärung, Aufräumen, Arzttermine. Wenn es dann wirklich einmal keine Pflichtaufgabe zu erledigen gibt, setzt Unsicherheit ein: Kann ich mich wirklich einfach hinsetzen und lesen? Habe ich nicht irgendetwas vergessen? Was wollte ich eigentlich machen?
Andere stellen fest, dass die ständige „Arbeit“ offenbar ein Vorwand war, um sich den Wunschprojekten nicht stellen zu müssen. Es war gar nicht der Job, der uns abhielt, ein eigenes Unternehmen zu gründen, ein Buch zu schreiben, einen Schrank zu tischlern. Der Job war die Ausrede, dem Wunsch nicht zu folgen.
Nicht immer sind sich die Betroffenen darüber bewusst. Das Umfeld schon eher. So rief mich letztens eine Frau an mit dem Anliegen: „Ich brauche einen Termin, denn mein Mann geht jetzt in Rente. Das wird eine Katastrophe für uns, wenn ich mich nicht darauf vorbereite. Er liebe ihn, aber ich habe sehr viele Projekte, die mir Freude bereiten und für die ich Zeit haben will.“
Familie und Beziehung sollte nicht einfach zum Lückenfüller werden, wenn der Job reduziert wird, oder wegfällt. Denn dann wird eben die Ehe optimiert. Change Management in Haushalt und Garten, die Freunde könnten auch mal mehr Struktur oder Bewegung vertragen…
Es ist schön zu sagen, „Familie ist mir wichtig“. Aber auch Familienmitglieder haben ihr eigenes Leben.
In den meisten Fällen, in denen wir uns mehr Ruhe, Zeit, Freiheit, Kreativität wünschen, führt kein Weg daran vorbei, dass wir uns als erstes mit uns selbst beschäftigen müssen.
Wie ticke ich? Inwieweit könnte ich Anteil an der Situation haben, die mir nicht gefällt? Könnte es sein, dass ich selbst unbewusst dafür sorge, dass ich nicht tun kann, was ich mir wünsche? Was kann ich alleine dafür tun, dass ich glücklich bin?
Für einen Klienten hieß die erste Übung: „Setze dich für zehn Minuten auf das Sofa, während die Familie im Haus ist. Widerstehe dem Drang: zu schauen, was die anderen machen, ob es etwas zu helfen, zu erledigen oder zu organisieren gibt. Denke nicht daran, was repariert oder gepflegt werden müsste. Erst an dem Tag, an dem du diese Ruhe erträgst, kannst du dich fragen: „Was würde ich gerne tun?“