Immer mehr Fehlzeiten wegen Depression und Angststörungen - wie kommt es dazu?
In der letzten Zeit gab es Artikel zu dem Thema (u.a. tagesschau.de), dass laut Studien immer mehr Fehlzeiten bei Mitarbeitern auf psychischen Probleme beruhen. Dabei werden Depressionen, Anpassungs- und Angststörungen genannt. Die Zahl solcher Krankschreibungen steigt rapide nach Angabe der Krankenkassen und sei besorgniserregend und alarmierend. Aus dem Zuwachs der Fehlzeiten wird der Schluss gezogen auf einen Zuwachs schwerer und langwieriger Fälle. Ob dieser Schluss wirklich zwingend ist, ist fraglich. Leider wird immer betont, dass die Belastungen allein am Arbeitsplatz liegen müssen.
Ist das so?
Die Praxis zeigt mir, dass an das Thema viel umfassender herangegangen werden muss und die Betroffenen in allen Lebensbereichen Überlastungen und Druck spüren.
Um gesund zu werden ist für die Betroffenen weniger die Frage wichtig: wo genau rührt die Belastung her?, sondern vielmehr: wie erlebe ich Belastungen? Wie reagiere ich darauf und wo (und wie) ziehe ich meine Grenzen?
Warum häufen sich die Krankschreibungen wegen psychischer Erschöpfung?
Eigentlich ist es kaum verwunderlich. Seit Corona kommen die Menschen aus den schlechten Nachrichten nicht mehr heraus. Der Fokus wird in allen gesellschaftlichen Bereichen - un den Medien - überwiegend auf Negatives gerichtet. Kriege, Wirtschaftskrisen, Engpässe, Klimakatastrophen, sozialer Abstieg, Armut, Pflegekrise. Die Liste ist unendlich. Dazu werden negative Prognosen aufgestellt, die Betonung liegt dabei auf allen Aspekten, die nicht stimmen. Wird über Maßnahmen zur Verbesserung geredet, wird gleichzeitig betont, welche negativen Auswirkungen und Einschränkungen diese Maßnahmen auf das Leben der Einzelnen haben wird.
Unter einer solchen negativen Dauerbefeuerung brechen viele Menschen zwangsläufig zusammen.
Weil wir als Kinder nicht gelernt haben, in gesunder Weise mit schlechten Nachrichten umzugehen. Die einen wurden von allem Negativen abgeschirmt, den anderen wurde vermittelt, dass die Umstände grundsätzlich schlecht, einschüchternd und für den Einzelnen unveränderbar sind.
Vor allem aber lernten die meisten von uns eines nicht: einen gesunden Abstand einzunehmen. Damit ist nicht ignorieren oder leugnen gemeint. Aber auch nur eine emotionale Distanz zu Situationen einzunehmen ist vielen fremd und wird gesellschaftlich oft nicht einmal akzeptiert.
Diese emotionale Distanz (nicht Taubheit) hält uns aber gesund, unseren Verstand klar und unsere Entscheidungsfähigkeit aufrecht.
Das trifft übrigens nicht auf alle Menschen zu: es gibt Menschen, die aus heißen Diskussionen und emotionalen Dramen Energie ziehen. Ob Ekstase oder Aggression, sie können nur besonders starke Emotionen wirklich spüren. Ihnen geht es in diesen Situationen gut, auch, wenn sie das nicht so bezeichnen würden.
Die Mehrheit von uns aber braucht diesen Level nicht zum Leben und kann ihn auf Dauer auch nicht aushalten.
Ist immer der Job Schuld?
Nicht immer ist der Job der alleinige Auslöser für die Erschöpfungs- oder Angstzustände. Er ist nur leider für die meisten auch keine Erholung von den alltäglichen negativen Eindrücken. Es wird in Unternehmen zwar immer mehr über Burnout und Mitarbeitergesundheit geredet, gleichzeitig wird trotzdem mehr Leistung gefordert in kürzerer Zeit. Aufgrund von Personalmangel, Wirtschaftskrise etc. Anders geht es angeblich nicht.
Wir reden an allen Ecken von Entschleunigung und die Meditations-Bücher und -Apps überschwemmen den Markt. Doch außerhalb der Bücher und Apps arbeiten wir nur an Beschleunigung. Selbst die Urlaubsplanung wird für die meisten zum Leistungsstress.
Es entstehen diffuse Ängste, die eigenen vermengen sich mit denen der Mitmenschen, ohne das wir sie auseinander halten. Wir sind uns nicht einmal bewusst, wie sehr wir uns (stressenden) Einflüssen von Außen aussetzen, gerade auch in unserer Freizeit.
Vollkommen überfordert sind Körper und Geist irgendwann so ausgelaugt, dass depressive Verstimmungen fast schon zwangsläufig sind.
Dazu kommen handfeste physische Belastungen, denn viele erholen sich immer noch von den Folgen der Coronaerkrankungen. Auch hier wird allgemein erwartet, dass alle wieder so funktionieren wie vor vier Jahren. Es werden also auf der einen Seite die Belastungen und Herausforderungen dieser Zeit betont und auf der anderen Seite darf das keine Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen haben.
Was kann man nun selber tun, wenn man psychisch in diese Negativspirale geraten ist?
Müssen psychische Erkrankungen wie Angstzustände und depressive Zustände wirklich immer lange Behandlungen erfordern? Dies ist eine Sichtweise - eben eine von vielen -, die negativ fokussiert ist, ohne Ausnahmen und Alternativen zuzulassen.
Gerade spontan auftretende depressive Zustände und Erschöpfungs- und Angstzustände sind oft gut zu behandeln. Hier gibt es seit vielen Jahren schon zahlreiche Methoden, die allesamt eins gemeinsam haben: Den Betroffenen helfen, den Fokus zu verändern, mit dem eigenen Körper wieder in Kontakt zu treten und das eigene Verhalten und Denken zu lenken.
In Angstzuständen und Depressionen haben wir die Kontrolle abgegeben. Wir fühlen uns machtlos, unbedeutend, überfordert.
Sind die Umstände denn etwa nicht schlimm, die Hektik im Büro, die Ansprüche von Außen, die Kriege, das Klima?
Natürlich sind diese Umstände da. Doch was in unserem Inneren abläuft, das können wir selbst bestimmen. Wie sehr wir uns mit den äußeren Dramen identifizieren und „eins fühlen“, das bestimmen wir. Ob wir uns darin verlieren oder lebens- und handlungsfähig bleiben, das liegt bei uns. Nur haben wir nie bewusst gelernt, wie wir das machen.
Nicht immer ist es notwendig in langen Therapien in der Vergangenheit zu wühlen und sie zu analysieren, um psychische Probleme in der Gegenwart zu lindern. Denn wir erleben diese Stimmungen im Jetzt, was bedeutet, wir kreieren sie im Moment. Natürlich hilft die Kenntnis der Vergangenheit, um das eigene Verhalten zu verstehen, aber die Aufmerksamkeit sollte ausgewogen verteilt werden auf Ursprungsforschung und konkreter Selbsthilfe in der Gegenwart.
Lernen, sich selbst zu helfen
In vielen Fällen ist es bei meinen Klienten sogar notwendig, erst einmal nur Selbsthilfetechniken für den Augenblick zu erlernen, um den eigenen Zustand zu verbessern.
Erst dann sind wir in der Lage, uns den Ursprüngen unserer Probleme zu stellen. Schwimmen wir noch im Sud unserer Machtlosigkeit, Überforderung, Ängste und Sorgen - wie sollen wir da eine Lösung finden?
Wenn wir erlebt haben, wie wir selbst unser Denken und Fühlen positiv beeinflussen können, wenn auch nur für einen Augenblick oder einen Tag, dann können wir erst die Möglichkeit akzeptieren, auch dauerhaft Änderungen zu erreichen.
Meditation ist ein Weg, wieder mit dem Inneren und den eigenen Fähigkeiten in Kontakt zu kommen. Für viele ist aber Mediation zu hoch angesetzt. Mediation ist anspruchsvoll und nicht schnell nebenbei gelernt. Die meisten von uns sind viel zu sehr im Außen gefangen, um sich auf eine Meditation einlassen zu können. Da braucht man Methoden, die einen dort abholen, wo man gerade ist.
In den meisten Fällen wird eine erstaunliche Wirkung erzeugt, wenn es gelingt, nur für wenige Augenblicke die Aufmerksamkeit nach innen zu richten und den Automatismus im Denken und Fühlen zu durchbrechen. Dabei eignen sich Techniken, die auch sensorisch sind, weil es uns so schwer fällt, den Kopf „frei“ zu bekommen.
Um psychische Gesundheit zu fördern (und damit auch unsere physische), ist es wichtig zu erkennen, wie wir selbst - jeder individuell - die äußeren Umstände im Inneren repräsentieren und mit ihnen umgehen. Gleichzeitig die Vielfalt kennenzulernen, wie man damit umgehen könnte. Und schließlich zu lernen, wie wir tatsächlich unser Empfinden von und unseren Umgang mit Situationen ändern können, selbst, wenn wir derzeitig nicht sehen, was wir im Außen ändern könnten.
Interessanterweise ergeben sich danach oft Änderungschancen im Außen, mit denen man nicht gerechnet hatte.
Hierauf liegt letztlich der Schwerpunkt in meinen Sitzungen und das (Wieder-)Erlernen dieser Fähigkeiten ist Hauptinhalt in unseren Seminaren zum Erlangen mentaler Stärke und Unerschütterlichkeit.
Einen kleine Übung zum Schluss, um akute Stresssituationen, Angstzustände oder starke emotionale Belastung zu unterbrechen:
1. Lege die Hand aufs Herz
2. Konzentriere dich vollkommen auf dein Herz. Stelle es Dir zum Beispiel als warmes, helles Feld vor
3. Atme für zwanzig Sekunden tief ein und aus und zähle die Atemzüge, mit der Aufmerksamkeit ganz bei Deinem Herzen
4. Frage Dein Herz, was Du jetzt für Dich tun sollst
Forschungen des HeartMath Institute in Californien haben ergeben, dass die Konzentration auf das Herz, die Ausschüttung von Stresshormonen messbar reduziert. Wenn die Aufmerksamkeit vom Kopf zum Herzen geht, führt das augebnlicklich zu einer Entspannung im Körper und aktiviert hormonelle Abläufe, die uns unter anderem helfen, wieder klar zu denken.